Dr. rer. nat.
Single:
Ich frage mich, was ich da eigentlich mache die ganze Zeit.
O fuck, wieder so eine üble Nacht.
Unruhe, Gedankenkarussell, im Morgengrauen ein kurzer Traum, von dem ich nur noch weiß, dass ich an ein Mikroskop gefesselt war.
Jetzt ist Zeit, ins Labor zu fahren — und ich habe sowas von keine Lust.
Ja okay, die Versuchsreihe läuft, und anscheinend stehen wir endlich kurz vor dem erfolgreichen Abschluss — aber ich kann mich überhaupt nicht freuen oder gar stolz sein über die Ergebnisse. Ich frage mich, was diese Forschung für einen Sinn hat, was ich da eigentlich mache die ganze Zeit in diesem supermodern ausgestatteten Institut unter Tage.
Wir bekommen sämtliches Material und Equipment, was wir bestellen, noch dazu ohne die übliche Wartezeit bei Anträgen, ich bin mit E15, Klasse 2 eingestuft — als Einsteiger!
Habe ich meine Seele verkauft? Für freies Forschen und gutes Geld?
Am Anfang sah eigentlich super aus: studienbegleitend die Promotionsstelle, Doktortitel nach dem Bachelor — dann einer der heiß begehrten Jobs in der Forschung. Ich war voller Selbstvertrauen und total zufrieden mit mir — und jetzt fühlt es sich nur noch falsch an. Ich will dort raus.
Mit wem kann ich darüber sprechen?
Meine Eltern werden nur enttäuscht sein — oder mich gar verachten.
Sue, meine Freundin, kann ich nicht einschätzen an dem Punkt, ich weiß zumindest, dass sie unseren Lebensstandard (also mein Einkommen) genießt und erwartet, dass das so weitergeht.
Die Kolleg:innen? Ihnen geht es vor allem um das Weiterkommen, sie wollen neue Projekte und haben diese Zweifel nicht.
Was kann ich mir denn sonst noch vorstellen? Bislang lief alles wie geplant, immer geradeaus. Jetzt kann ich das Ziel dieser Reise nicht mehr sehen.
Wo will ich denn hin mit meinem Leben? Welchen Sinn kann es haben? Es liegt doch noch so eine lange Zeit vor mir!