Karla (45)


Mit­hel­fen­de Ehefrau,
Mutter:

So alt bin ich noch nicht, und ich hab noch ziem­lich viel Leben vor mir.


Mensch geht’s mir Schei­ße. So schlimm war das noch nie. Im Moment weiß ich über­haupt nicht mehr, wer ich bin, was ich bin.

Max hat mir gesagt, dass er sich nicht sicher ist, ob unse­re Ehe noch funk­tio­niert. Viel­leicht hat er eine ande­re Frau ken­nen­ge­lernt? So genau hat er das nicht gesagt. Nur, dass er mit mir reden muss.
Dass er sich nicht sicher ist – so ein Quatsch! Da kann er doch auch gleich sagen, dass er weg will, oder?

Was ist eigent­lich pas­siert mit uns? Wo sind wir gelan­det? Und was will ich sel­ber eigentlich?
Im Moment weiß ich nur, dass ich mich noch nie so hilf­los gefühlt habe wie jetzt. Es fühl­te sich doch alles so sicher an!
Wir haben die Fir­ma zusam­men auf­ge­baut, ich habe von Anfang an mit­ge­ar­bei­tet, Max brauch­te ja die Hil­fe zum Start.
Dass ich eigent­lich eine Aus­bil­dung als Visa­gi­stin hat­te, war dann nicht so wichtig.
Dann ent­wickel­te sich alles gut, jetzt läuft der Laden. Die Kre­di­te sind längst abge­zahlt, die Bilan­zen stim­men, auf die Ange­stell­ten kön­nen wir uns ver­las­sen, und eigent­lich bin ich längst nicht mehr nötig dort – aber zwi­schen­drin habe ich den Absprung ver­passt. Unse­re Ehe als Zweckgemeinschaft.

Du lie­be Güte! Zum Glück habe ich einen rich­ti­gen Arbeits­ver­trag und Anspruch auf Arbeits­lo­sen­geld im Fal­le des Falles…

Clau­dia, unse­re Toch­ter, hat einen Mann gehei­ra­tet, mit dem sie sich wei­ter­ent­wickeln kann. Sie hat gera­de Zwil­lin­ge bekom­men, aber ihr Stu­di­um will sie noch been­den. Die bei­den wer­den sich die Eltern­zeit tei­len. Das wird viel­leicht nicht leicht, aber sie machen das rich­tig. Eige­ne Ent­wick­lung ist doch wichtig!
Ich bin stolz auf sie und ein biss­chen trau­rig für mich und fra­ge mich: was kann ich jetzt tun?

So alt bin ich noch nicht, und ich hab noch ziem­lich viel Leben vor mir. Und ganz egal, was Max mir mor­gen erzäh­len wird, bin ich so auf­ge­schreckt, auf­ge­wacht könn­te ich auch sagen, dass ich mir jetzt die Fra­ge stel­le, was ich mit dem Rest mei­nes Lebens anfan­gen will.

Die Fir­ma braucht mich nicht mehr, das sehe ich plötz­lich klar. Ob Max mich noch braucht und ich ihn, ist mir im Moment über­haupt nicht klar. Ob ich das über­haupt noch will.

Ich weiß, dass Clau­dia und die Zwil­lin­ge mich brau­chen, das ist wun­der­bar. Aber nicht genug.
Wie wäre es, wenn ich mei­ne eige­ne Che­fin wür­de? Ich mei­ne jetzt kei­ne Fir­ma, ich mei­ne, Che­fin über mein Leben.

Das ist ein ziem­lich auf­re­gen­der Gedan­ke. Und ganz schön beun­ru­hi­gend. Ich weiß nicht, was mir Sicher­heit geben wird, wenn ich alles Ver­trau­te loslasse.
Ein­sam­keit? Auto­no­mie? Viel­leicht bei­des? — So eine Herausforderung!

Was bleibt mir?
Ich habe 20 Jah­re Erfah­rung in Akqui­se und Ver­trieb, habe im Büro oft mit kon­struk­ti­ven und krea­ti­ven Ideen genau die rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen getrof­fen. Wirt­schaf­ten kann ich auch sehr gut.
Und dann ist da ja noch mei­ne Aus­bil­dung zur Visa­gi­stin. Damals im Thea­ter hat mir das viel Spaß gemacht. Ich war rich­tig gut dar­in, die Beste in der Klas­se. Ob ich heu­te mit dem Abschluss noch was anfan­gen kann — ich weiß es nicht. Ob mir das noch was nützt?