Mithelfende Ehefrau,
Mutter:
So alt bin ich noch nicht, und ich hab noch ziemlich viel Leben vor mir.
Mensch geht’s mir Scheiße. So schlimm war das noch nie. Im Moment weiß ich überhaupt nicht mehr, wer ich bin, was ich bin.
Max hat mir gesagt, dass er sich nicht sicher ist, ob unsere Ehe noch funktioniert. Vielleicht hat er eine andere Frau kennengelernt? So genau hat er das nicht gesagt. Nur, dass er mit mir reden muss.
Dass er sich nicht sicher ist – so ein Quatsch! Da kann er doch auch gleich sagen, dass er weg will, oder?
Was ist eigentlich passiert mit uns? Wo sind wir gelandet? Und was will ich selber eigentlich?
Im Moment weiß ich nur, dass ich mich noch nie so hilflos gefühlt habe wie jetzt. Es fühlte sich doch alles so sicher an!
Wir haben die Firma zusammen aufgebaut, ich habe von Anfang an mitgearbeitet, Max brauchte ja die Hilfe zum Start.
Dass ich eigentlich eine Ausbildung als Visagistin hatte, war dann nicht so wichtig.
Dann entwickelte sich alles gut, jetzt läuft der Laden. Die Kredite sind längst abgezahlt, die Bilanzen stimmen, auf die Angestellten können wir uns verlassen, und eigentlich bin ich längst nicht mehr nötig dort – aber zwischendrin habe ich den Absprung verpasst. Unsere Ehe als Zweckgemeinschaft.
Du liebe Güte! Zum Glück habe ich einen richtigen Arbeitsvertrag und Anspruch auf Arbeitslosengeld im Falle des Falles…
Claudia, unsere Tochter, hat einen Mann geheiratet, mit dem sie sich weiterentwickeln kann. Sie hat gerade Zwillinge bekommen, aber ihr Studium will sie noch beenden. Die beiden werden sich die Elternzeit teilen. Das wird vielleicht nicht leicht, aber sie machen das richtig. Eigene Entwicklung ist doch wichtig!
Ich bin stolz auf sie und ein bisschen traurig für mich und frage mich: was kann ich jetzt tun?
So alt bin ich noch nicht, und ich hab noch ziemlich viel Leben vor mir. Und ganz egal, was Max mir morgen erzählen wird, bin ich so aufgeschreckt, aufgewacht könnte ich auch sagen, dass ich mir jetzt die Frage stelle, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will.
Die Firma braucht mich nicht mehr, das sehe ich plötzlich klar. Ob Max mich noch braucht und ich ihn, ist mir im Moment überhaupt nicht klar. Ob ich das überhaupt noch will.
Ich weiß, dass Claudia und die Zwillinge mich brauchen, das ist wunderbar. Aber nicht genug.
Wie wäre es, wenn ich meine eigene Chefin würde? Ich meine jetzt keine Firma, ich meine, Chefin über mein Leben.
Das ist ein ziemlich aufregender Gedanke. Und ganz schön beunruhigend. Ich weiß nicht, was mir Sicherheit geben wird, wenn ich alles Vertraute loslasse.
Einsamkeit? Autonomie? Vielleicht beides? — So eine Herausforderung!
Was bleibt mir?
Ich habe 20 Jahre Erfahrung in Akquise und Vertrieb, habe im Büro oft mit konstruktiven und kreativen Ideen genau die richtigen Entscheidungen getroffen. Wirtschaften kann ich auch sehr gut.
Und dann ist da ja noch meine Ausbildung zur Visagistin. Damals im Theater hat mir das viel Spaß gemacht. Ich war richtig gut darin, die Beste in der Klasse. Ob ich heute mit dem Abschluss noch was anfangen kann — ich weiß es nicht. Ob mir das noch was nützt?